1. Ob der grüne OB Boris Palmer, DFB-Präsident Fritz Keller oder die Debatte um CDU-Kandidat Hans-Georg Maaßen. Sie alle mussten sich kürzlich dem Vorwurf des Rassismus stellen. Palmer kritisiert einen Trend zur „Cancel Culture“ und einen „illiberalen Zeitgeist“. Wie entstehen Empörungsrituale?
Besonders Krisen schaffen eine Wut- und Stresslogik in uns. In dieser Logik suchen wir Sicherheit und finden sie in moralisierten Feldern. Beispiel: Bist du für Umwelt, bist du gut. So wissen wir, was wir tun können, damit alles gut ist.
2. Klingt fast kindlich naiv. Wie kommt es denn zur Ausgrenzung?
Indem eine gestresste Gesellschaft an Signalen festmacht, ob jemand gut oder schlecht ist. Da werden schon vorsichtige Äußerungen pars pro toto genommen. Sobald man nicht jede Umwelt-Idee blind teilt oder sie gar hinterfragt, ist man „gegen die Umwelt“ und damit „schlecht“. So kann sich der andere Teil der Gesellschaft besser fühlen. Er glaubt dann, die moralische Absolution im Kampf gegen das Böse zu haben.
3. Und so wird man als „Böser“ dann „gelabelt“? Ist es das, was mit „Cancel Culture“ gemeint ist?
Ja, Parteien und Medien sind ein guter Resonanzboden dafür. Unfaires „Labeling“ wie „Klimaleugner“ erfüllt eine zerstörerische Wirkung. Die „Guten“ wissen sofort, wen sie ächten müssen. Und politisch-gesellschaftlich ist der „Gelabelte“ tot. Luisa Neubauer wusste kürzlich ganz genau, was sie mit dem Antisemitismus-Vorwurf gegen Hans-Georg Maaßen bei „Anne Will“ auslöst. Sie musste den Vorwurf im ersten Schritt gar nicht belegen. Das Kainsmal des Antisemitismus war so stark, dass „immer was hängen“ bleibt. Funktioniert auch mit Rassismus und Sexismus. Übrigens: Um die „Sache“ geht es selten. Es geht um Einschüchterung, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken.